Nur durch direkte Erfahrung können wir beginnen, unsere Welt anders wahrzunehmen. Philosophische Spekulationen und intellektuelle Vermutungen, die nicht erfahren wurden, können nicht in unsere fundamentale Wahrnehmung der Welt integriert werden, – sie bleiben Abstraktionen. Daraus folgt, dass die Erfahrung der Meditationspraxis als ein Mittel, die buddhistische Sicht zu verwirklichen, notwendig ist. Denn nur durch die Entwicklung der Meditationspraxis können wir uns selbst gegenüber transparent werden, indem wir die Mechanismen unserer stilisierten Wahrnehmung erleben.
Entsprechend der tibetisch-tantrischen Sicht gibt es 3 Sphären des Seins: die äußere Welt unserer Umgebung, die innere Welt unserer Wahrnehmungen und ein raumhaftes Kontinuum, das ihnen zugrunde liegt und beide durchdringt. Dieses raumhafte Kontinuum stellt sich selbst als primäre Energie dar, welche die elementare Basis, sowohl der äußeren als auch der inneren Phänomene, bildet. Diese Felder sind Festigkeit oder Erde, Flüssigkeit oder Wasser, Verbrennung (Hitze) oder Feuer, Beweglichkeit oder Luft-Wind und Leerheit bzw. Raum ohne Inhalt. Das Hauptanliegen von Tantra ist Transformation, die nicht versucht, unsere Probleme loszuwerden, sondern die Umwandlung ihrer intrinsisch erleuchteten Energie ermöglicht.
Tantra sieht uns als Symbole unserer Selbst: Wir sind nicht ‚das Reale‘, sondern einfach vibrierende farbenprächtige freie Energien, die völlig real sind. Das erleuchtete Wesen, das du tatsächlich bist und immer gewesen bist, dies ist ‘das Reale’, nicht die Ansammlung von Neurosen, Ängsten und Gewohnheiten, mit denen wir vertraut sind. Also ist das Muster und der individuelle Charakter unseres psychologischen und emotionalen Grundgerüsts in dem Sinne symbolisch, dass wir unser erleuchtetes Wesen in einer Weise symbolisieren, die die Form einer oder mehrerer Element-Felder annehmen: Erde, Wasser, Feuer, Luft und Raum.
Unsere zum Ausdruck kommende Persönlichkeit leitet sich von einer Enzyklopädie von Symbolen unserer erleuchteten Natur ab. Als solche bietet sie den Schlüssel, diese Natur zu entdecken.
Jeder Geisteszustand, wie verzweifelt oder besorgniserregend er auch sein mag, ist dynamisch mit einem Aspekt der inneren Freiheit des nicht-dualen Spiels unserer freien Elemente verbunden. Die tantrischen Methoden enthüllen, dass der Geist an sich frei ist(unbeschränkt durch Symbole), und dass man sich diese vollkommene Offenheit des Geistes enthüllen, nicht aber schaffen muss. Hier gibt es kein Konzept, bei dem man sichkünstlich neu erschaffen muß, entsprechend einer spirituell gesunden philosophischen Perspektive. Alle positivistischen intellektuellen Formulierungen basieren entweder auf Wunschdenken oder naivem Idealismus anstatt auf direkter Erfahrung. Obwohl die Sicht unserer verzerrten emotionalen Muster, die wir zu entdecken im Begriff sind, eine positive, kreative Perspektive sein könnte, ist sie nicht tatsächlich von wirklichem Nutzen, solange sie im Bereich der Theorie bleibt.
Sobald wir in der Lage sind, unsere stilisierte Wahrnehmung zu bemerken, werden wir uns bewusst, ob das, was wir entdecken, tief empfunden oder intellektuell fabriziert ist. Wenn wir in der Lage sind, uns selbst in Aktion zu sehen, dann werden auch andere Menschen für uns zunehmend transparent und dies könnte in uneingeschränkterem Maße mitfühlende Reaktionen ermöglichen. Indem wir uns selbst heilen, könnten wir Klarheit und Einsicht entwickeln, die notwendig sind, um die Heilung anderer zu begünstigen.
Um die nackte Methode der Umarmung von Emotionen als den Weg zu entdecken, benötigen wir (etwas) Verständnis der tantrischen Auffassung. Sie erkennt, das es allen Menschen an psychologischer Gesundheit und Freiheit mangelt. In der tibetischen Medizin ist die erste Prämisse für zukünftige Ärzte, dass sie sich selbst als krank erkennen müssen. Die Beziehung zwischen Arzt/Therapeut und Patient wird wesentlich von der Tatsache bestimmt, dass tibetische Ärzte sich selbst so betrachten, als haben sie spezifisches Wissen, um denen zu helfen, die an ernsteren und äußerlich manifestierten Varianten ihrer eigenen Krankheit- der Krankheit der Dualität – leiden. Diese Dualität ist die vom Verstand konstruierte Trennung von Leerheit und den Formen, die fortlaufend aus Leerheit aufsteigen (und sich wieder in Leerheit auflösen). Wenn wir Leerheit und Form polarisieren und dann Leerheit zurückweisen und Form bevorzugen, treten wir in die Dualität ein. Dieses geschieht, wenn wir unangemessen auf die innewohnende Raumhaftigkeit unseres Seins reagieren, indem wir die diese Raumhaftigkeit unseres Seins als Leerheit missverstehen. Diese unpassende Reaktion zeigt sich als unsere ‚charakteristische menschliche Vorliebe‘ und scheint sich aus den fünf Mustern der verzerrten Erfahrung zu entwickeln. Die fünf Muster entsprechen dem Charakter der Elemente (Erde, Wasser, Feuer, Luft und Raum), so wie sie sich unseren emotionalen/psychologischen Energien betreffend manifestieren.
Diese unpassenden Verhaltensmuster sind allesamt Entwürfe und Szenarios, die wir selbst als ihre Darsteller entwickelt haben, um ein Gefühl des Wohlbefindens und der Sicherheit zu schaffen. Wir alle haben diese ‚Wahrnehmungsphilosophien‘ und obwohl wir uns selbst für ausgeglichene und emotional stabile Menschen halten mögen, sind wir letztendlich alle Gegenstand des fortwährenden irritierenden „Stachel des Lebens“, das nie genau so ist, wie wir es wollen oder brauchen. Die Menschen, die wir als emotional/psychologisch instabil oder unausgeglichen beschreiben würden, haben diese Wahrnehmungsphilosophien nur verkompliziert und agieren höchst verdrehte ‚Nebenhandlungen‘ aus, die absurd oder tragisch sein können. Wenn wir solche Probleme haben, dann liegt das daran, dass sich unsere Lebensumstände dazu verschworen haben, uns die Integration der zunehmend verzerrten Wahrnehmungsphilosophien zu erleichtern. Um diese nicht hilfreichen ‚Fähigkeiten‘ zu verlernen, müssen wir zunächst den scheinbaren Nutzen untersuchen, den wir daraus ziehen.
Dieser seltsamen Nutzen entwickelt seine Eigenschaften durch unsere verzerrten Reaktionen auf ‚die innewohnende Raumhaftigkeit des Seins‘; jeder ‚Nutzen‘ wird durch die Qualitäten der Fünf Elemente charakterisiert. Um die Natur jedes dieser unpassenden Gewohnheits-Muster zu erforschen, ist es notwendig, dass wir die Natur und Funktionsweise der natürlichen Elemente untersuchen. Von einem rein intellektuellen Standpunkt aus ist die Psychologie des Tantra wunderbar malerisch und poetisch, indem sie ‚Analogien‘ zwischen den Elementen und den Geisteszuständen herstellt, mit denen diese verbunden sind. Für den tantrisch Praktizierenden jedoch sind sie keine Analogien, sondern dynamisch verbundene Konfigurationen gelebter Erfahrung. Das System der Elemente und ihre subtilen psychologisch/emotionalen Entsprechungen ermöglicht es tantrisch Praktizierenden, die Welt der Phänomene als psychologisches Lehrmittel zu betrachten. Wir haben diese Ideen ausführlich und in weniger komprimierter Sprache in ‘Spectrum of Ecstasy’ (Ngak’chang Rinpoche & Khandro Déchen, Aro Books, 1997).
Betrachten wir uns diese verzerrten Reaktionsmuster in Bezug auf die fünf Elemente betrachten. Die Reaktion des verzerrten Erdelements auf die innewohnende Raumhaftigkeit des Seins ist die der Bedeutungs- und Substanzlosigkeit, der wir durch die Entwicklung von Festigkeit und Stärke auszuweichen versuchen. Die Notwendigkeit der Zurschaustellung von Wohlstand und Macht erwächst aus unserem tiefsitzenden Gefühl von Armut und Wertlosigkeit. Um dieses Hohlsein zu kompensieren erschaffen wir Imperien, wir horten Reichtümer und häufen scheinbar überzeugende Definitionen unseres Selbst an bezüglich Status, Eigentum, Kontrolle, Ruhm, Verehrung und Vorherrschaft. Konkretisierung und Hartnäckigkeit nähren die Rigidität unserer Bezugsrahmen – Territorialität und Arroganz führen uns tiefer in unsoziales zwischenmenschliches Verhalten hinein.
Die Reaktion des verzerrten Wasserelements auf die inhärente Raumhaftigkeit des Seins ist die der Angst und wir weichen aus durch Aggression, in der wir uns berechtigt fühlen, auszurasten. Rechtfertigung nährt unseren Ärger und das Gefühl von Groll und wir sehen die Welt als Kampfgebiet. Dies führt dazu, dass wir den ‚emotionalen Overkill‘ als effektives Mittel betrachten, um unsere Angst in Schach zu halten. Wenn wir uns selbst machtlos fühlen, fühlen wir uns notwendigerweise gezwungen, uns mit physischen, intellektuellen und emotionalen Waffen auszurüsten. Wir vergrößern die ‚Schlagfähigkeit‘ anderer über alle Maßen, weil wir sie mit der Raumhaftigkeit, die wir fürchten, identifizieren. Wir ‘lernen’ rasch, dass Angriff die beste Form der Verteidigung ist. Aber wenn wir uns auf natürliche Weise ermächtigt und zuversichtlich fühlen, können wir es uns leisten, freundlich und tolerant zu sein.
Als Reaktion des verzerrten Feuerelements auf die inhärente Raumhaftigkeit des Seins steigt ein Gefühl von Isolation und Trennung auf und wir weichen aus durch Konsumzwang und indem wir uns an der behaglichen Nähe von Menschen, Orten, Dingen und Ideen festhalten. Wir erleben unsere Welt als eine emotionale Wüste und versuchen, unsere Einsamkeit wegzudrängen, indem wir unterschiedslos nach der Erfahrung von Vereinigung mit jedem Mittelpunkt unserer flüchtigen Aufmerksamkeit greifen. Auf gewisse Weise ist dieses Muster dem Reaktionsstil des verzerrten Erdelements ähnlich; aber während das verzerrte Erdelement im Prozess des Sammelns und Überwachens das Gefühl der Leere und Substanzlosigkeit entdeckt, findet das verzerrte Feuerelement im Prozess des Konsumierens die Leere der Isolation und Trennung. Im Stil des Erdelements missverstehen wir die Entdeckung der Substanzlosigkeit als Bedürfnis, uns weiter zu verfestigen; wir müssen gewaltigere Schutzwälle und Bastionen der persönlichen Realität kontrollieren. Im Stil des Feuerelements missverstehen wir die Entdeckung von Isolation als Bedürfnis, uns so schnell wie möglich mit immer neuen Brennpunkten verführerischer Nähe zu vereinigen.
Die Reaktion des verzerrten Luftelements auf die inhärente Raumhaftigkeit des Seins ist eine grundlose Furcht und die Strategie, die wir daraufhin entwickeln, verwickelt uns in ein sich selbst erzeugendes Misstrauen, das sich derartig intensiviert, dass nur noch weitere Intensivierung möglich ist. Wir befürchten, dass komplexe Mächte in Bewegung sind, geboren aus dem unheimlichen Unbekannten, die beabsichtigen, uns auf eine Weise zu unterminieren, die nicht sofort offensichtlich ist. Uns fehlt jegliche Empfindung von Stabilität – wir bemerken, das unser Gefühl des Verdachtes, welches wir manipulieren um der Bedrohung des Vergessens entgegentreten, ironischerweise bedrohlicher ist als die heimliche Bedrohung dieses beängstigenden Nichts. Wir verspannen uns, werden aufgeregt und hyperaktiv, während wir unsere Konzentration ständig in Bewegung halten, da wir alles gleichzeitig zu überwachen versuchen. Nie wissen wir, in welchem Moment wir ausgetrickst oder hinterhältig betrogen werden, falls wir in unserer Wachsamkeit schwanken. Unsere Gefühle reichen von Feindseligkeit über Eifersucht und Misstrauen bis hin zu Paranoia; und letztendlich bis zur Psychose. In gewisser Weise hat dieses Muster Ähnlichkeiten mit der Reaktion des verzerrten Wasserelements, aber während wir dort einen direkten, deutlichen und offensichtlichen Angriff befürchten, verursacht der Stil des Luftelements das Auftauchen von Furcht in der Form von Unsicherheit und Nervosität, da wir nicht wissen wie und wann sich der befürchtete Angriff manifestieren wird. Anstatt aufgrund ‘offensichtlicher’ aber missverstandener Bedrohungen auszurasten, verwickeln wir uns in hochangespannte Spekulationen. Die Verteidigungsmechanismen des Wasser-Stils sind ziemlich direkt und brutal – wir könnten sie mit Kampfflugzeugen oder Kriegsschiffen vergleichen. Aber die Verteidigungsmechanismen des Luft-Stils sind wesentlich komplexer, verwickelt und indirekt; es gibt absolut kein Vertrauen in irgendetwas – wir würden nicht einmal unsere Kampfflugzeuge vom Boden bekommen, weil wir uns in endlose Gegenkontrollen verwickeln würden. Wir sind von grotesk verwickelten Analysen einer Reihe von heimlichen Verschwörungen gegen uns besessen. Wir könnten das verzerrte Muster des Luft-Stils mit Gegen-gegen-gegen-Spionage gegen Doppel/Dreifach/Vierfach-Agenten vergleichen.
Die verzerrte Reaktion des Raumelements ist fundamental, da sie den anderen vier Reaktionsmustern zugrunde liegt. Dies ist das ursprüngliche Missverständnis, das die anderen vier Reaktionsmuster entstehen lässt und in welches sie anschließend kollabieren. Bei diesem fundamentalen verzerrten Musterwerden wir ganz einfach und ganz und gar von der bloßen Weite des Raumes überwältigt. Der Ausweg, den wir hier nehmen besteht darin, überhaupt keinen entwickeln zu,wir werden handlungsunfähig und depressiv. Wir schneiden uns von der äußeren Welt ab und werden introvertiert, eingeschlossen in uns selbst – wir spielen blind, taub, stumm, gefühllos und stumpf für Erfahrungen – wir suchen Schutz in der Vergessenheit.
Diese fünf verzerrten Verhaltensmuster enthalten einander und die meisten ‘gesunden’ Menschen haben ein Gleichgewicht dieser Muster in ihren weniger quälenden Manifestationen. Einige ‘gesunde’ Menschen haben eine Unausgewogenheit eines oder mehrerer Element-Muster, aber ihre Energie bringt Qualitäten, Fähigkeiten und Talente ebenso wie destruktive Gewohnheiten und Tendenzen hervor. Einige Menschen haben große Element-Unausgewogenheiten, die durch die Lebensumstände in solchem Ausmaß angeheizt werden, dass wir sie als emotional unausgeglichen oder psychologisch gestört bezeichnen. Aber welches Ungleichgewicht auch immer: die Essenz der tantrischen Psychologie besagt, dass unsere verzerrten Element-Reaktionen auf den Raum dynamisch verbunden sind mit unserem befreiten Potential.
Die Territorialität der verzerrten Erdelement-Neurose kann in bezugslose Wertschätzung und raumhafte Großzügigkeit verwandelt werden. Die Aggression der verzerrten Wasserelement-Neurose kann in Klarheit und Einsicht verwandelt werden. Die Besessenheit der verzerrten Feuerelement-Neurose kann in aktives Mitgefühl und Leidenschaft jenseits der Leidenschaft verwandelt werden. Die Paranoia des verzerrten Luftelements kann in offenes Vertrauen und sich selbst erfüllende Aktivität verwandelt werden. Die freiwillige Depression der verzerrten Raumelement-Reaktion kann in allgegenwärtige Intelligenz und durchdringendes Gewahrsein verwandelt werden.
Element | Reaktion auf die intrinsische Raumhaftigkeit | Reaktion auf die Reaktion | Effekt der Verwandlung |
Erde | Gefühl der Bedeutungslosigkeit | Kultivierung von Solidität und Macht | Gleichmut |
Wasser | Angst, Gefühl der Machtlosigkeit | Ausrasten, Rücksichtslosigkeit | Klarheit |
Feuer | Isolation, Einsamkeit | Anhaften an Komfort | Mitgefühl |
Luft | Angst, Verletzlichkeit, Paranoia | Exzessive Analyse | Vertrauen |
Raum | Gefühl der Überwältigung | Unfähigkeit, Depression | Durchdringende Intelligenz |
Mit diesem Modell der verdrehten Wahrnehmungsphilosophien und emotionalen Gewohnheitsmuster (als Verzerrungen der befreiten Energie unserer Emotionen) ist es uns möglich, uns in einem anderen Licht zu sehen. Die schmerzhaften Aspekte unserer emotionalen Persönlichkeiten (wie auch deren freudvolle Aspekte) sind Zugänge zu unserem befreiten Potential. Erfahrene Vertrautheit mit der tantrischen Sicht der Emotionen befähigt uns, unsere vibrierenden offenen Qualitäten in dem, was als bloße Emotionalität abgewertet wurde, zu erkennen.
Wenn wir uns zum Beispiel die Wut näher betrachten, können wir viele Eigenschaften der Klarheit sehen, als verzerrte, jedoch wahrnehmbare Spiegelungen. Wut ist hyper-intelligent; oft erkennen wir im Zustand der Wut eine höhere Kapazität von Intelligenz und Erinnerung. Sarkasmus wird mit Schnelligkeit und ungewohnter Genauigkeit ausgeteilt – wir wissen einfach, wo die emotionalen Nerven bei anderen bloßliegen und stoßen zu mit der chirurgischen Schärfe unseres Hasses.
Diese Sicht unserer Emotionen als ‘Reflektionen’ der befreiten Energiefelder ist eine Methode, uns selbst zu befreien, direkten Kontakt mit unseren emotionalen Energien herzustellen anstatt auf der Reaktionsebene in Ausagieren, Unterdrücken oder Zerstreuen verwickelt zu werden.
Diese drei bekannten Methoden mit Emotionen umzugehen sind verbunden mit den drei dualistischen Tendenzen: Anziehung, Abneigung, und Indifferenz. So reagieren wir auf alles, was sich uns präsentiert, solange wir uns vor der Raumhaftigkeit unseres Seins ‚verstecken‘. Anziehung, Abneigung und Indifferenz untermauern das Gewebe unseres Antriebs, solange wir die inhärente Raumhaftigkeit unseres Seins mit Vernichtung gleichsetzen und solange wir das Konzept haben, dass wir nur auf diese drei Arten reagieren können. Unaufhörlich überwachen wir unseren Wahrnehmungshorizont, um Bezugspunkte zu etablieren mit denen wir uns selbst beweisen, dass die inhärente Raumhaftigkeit des Seins pure Einbildung ist. Und so werden wir von all dem angezogen, was uns das Gefühl gibt, solide, dauerhaft, abgetrennt, kontinuierlich und definiert zu sein. (Solidität, Dauerhaftigkeit, Abgetrenntsein, Kontinuität und Definition beziehen sich auf Erde, Wasser, Feuer, Luft und Raum.) Wir sind allem gegenüber abgeneigt, was das Gegenteil unterstellt und indifferent gegenüber allem, was wir nicht manipulieren können. Es ist dieses dichte Netz der Motivation und der Verhaltensmuster, das beinahe vollkommen das natürliche ‘Funkeln’ unseres Seins einschränkt. Wir können die Ursachen unserer schmerzhaften Gefühle nicht loswerden, indem wir sie unterdrücken, ausdrücken oder zerstreuen.
Viele Menschen haben herausgefunden, dass dadurch, dass ihnen geholfen wurde, ihre Wut (zum Beispiel) auszudrücken, sie Probleme wie Depression (die durch unterdrückte Wut verursacht werden kann) überwunden haben. Aber das hat zu der falschen Sichtweise geführt, dass es gesund ist Wut auszudrücken. Aus tantrischer Sicht führt der Ausdruck von Wut nur dazu, die verzerrte Reflektionen zu intensivieren und weiter auf illusorische Distanz zu der befreiten Energie dieser Emotion zu gehen. Wut auszudrücken konditioniert uns mit einem Wahrnehmungsmuster, das noch leichter wütende Reaktionen in immer mehr Situationen bei uns auslöst. Einfach gesprochen, wenn wir unsere Wut als gesunde Erleichterung betrachten, trainieren wir uns nur selbst, wütende Menschen zu sein. Wir vermeiden die Nebenwirkung der Unterdrückung, aber dafür ziehen wir die Nebenwirkung des Ausagierens auf uns. Zerstreuung ist im Hinblick auf die Nebenwirkungen die am wenigsten schädliche Aktivität, ob wir dabei mit Ärger oder irgendeiner anderen Emotion umgehen, aber sie beschäftigt sich nicht mit der Wurzel des Dilemmas. Solange diese nicht unmittelbar konfrontiert wird, wird eine Emotion immer wieder auftauchen, wenn unsere Lebensumstände eine der fünf verzerrten Reaktionsmuster auslösen.
Die Meditationspraxis, die uns unsere Emotionen als den Weg umarmen läßt, versieht uns mit einer anderen Wahlmöglichkeit. Hier werden unsere emotionalen Energien weder unterdrückt noch ausgedrückt noch zerstreut. Wir lassen unser konzeptuelles Gerüst und starren wortlos in die physische Empfindung der Emotion. Das beschreiben wir als „in das Gesicht der aufsteigenden Emotion starren, um ihre leere Natur zu verwirklichen“. Hier wird Meditation zu einem essentiellen Aspekt unserer Entdeckungsmethode. Diese Form der Meditation, die wir hier besprechen, stammt aus einem System des trek-chod, was ‘den Horizont der konventionellen Realität sprengen’ bedeutet. Trek-chod hat damit zu tun, die Präsenz des Gewahrseins in der Dimension der Empfindung der Emotion zu finden. Einfach gesprochen lokalisieren wir den physischen Ort der Emotion innerhalb des Körpers (er kann begrenzt oder alles durchdringend sein). Dort nehmen wir die Emotion als eine physische Empfindung war. Dann erlauben wir dieser Empfindung sich auszubreiten und uns zu überfluten. Wir werden zu dieser Emotion. Wir hören auf, Beobachter unserer Emotionen zu sein. Wir starren mit solcher Vollständigkeit in das Gesicht der aufsteigenden Emotion, dass sich jede Empfindung der Trennung zwischen der ‘Erfahrung’ und dem ‘Erfahrenden’ auflöst. Auf diese Weise öffnen wir uns für einen Einblick in das, was wir tatsächlich sind. Wir werden uns selbst gegenüber transparent. Durch dieses ‘Starren’ befreit sich die verzerrte Energie unserer Emotionen von selbst. In der Sprache des trek-chod heißt es: ‘aus sich selbst heraus befreit es sich selbst’ und ‘es mündet in seinen ureigenen Zustand’. Um Meditation auf diese Weise zu nutzen, müssen wir die Erfahrung entwickelt haben, zwanghaftes Anhaften an intellektuell-konzeptuelle Prozesse als die entscheidenden Bezugspunkte, auf die unsere Empfindung des Seins angewiesen ist, loszulassen. Kurz gesagt, müssen wir in der Lage sein, in unserem eigenen Erfahrungsraum zu verweilen, ohne das, was auftaucht zu einem Bezugspunkt zu machen. Wir müssen den Geist erfahren als freie konzeptuelle Aktivität – dennoch ausgezeichnet durch das Strahlen reiner, vollkommener Präsenz.
Durch die Praxis der Meditation entdecken wir, dass wir einen direkten Kontakt mit der unkonditionierten Essenz des Spektrums befreiter Energie herstellen können. Wir können unsere Emotionen umarmen und die nie endende Lebendigkeit dessen, was wir sind, verwirklichen.